Gespräch mit einem Geschichte- und Deutschlehrer im Schloss Traunsee am 26. Juni im Jahr 2023
Was denken Sie, was denken die Lehrern, wie große Freiheit haben sie in Bezug auf was sie unterrichten müssen?
- Es gibt einen Stoff, einen Lehrplan, den man unterrichten muss. Und in dem Bereich habe ich dann große Freiheit, wo ich den Schwerpunkte liege. Was ich intensiver behandle oder weniger behandle, ist meine Entscheidung.
Kann man entscheiden, aus welchem Buch man unterrichtet?
- Theoretisch ja, praktisch ist es eigentlich in der Schule nicht machbar, weil wir eigentlich dasselbe haben sollten. Im Fall von Deutschlehrern ist es sicherlich so, dass sie aus dem gleichen Buch unterrichten.
Gibt es einen staatlichen Herausgeber und andere Unternehmen?
- Es gibt verschiedene Unternehmen, nicht nur einen Herausgeber vom Staat. Die Bücher, die unsere Schule benutzt, kommen aus dem Ministerium und die passen gut. Es passt inhaltlich.
Hat man darüber Informationen, ob in den Geschichtsbüchern oder in den Lehrstoff einige Themen wegen Politik verändert worden sind? Oder sind wegen politischer Gründe einige Themen besser oder weniger betont? (Auch im Schulfach Deutsch…)
- Nein. Geschichte ist es so, dass man alle Seiten zu einem Thema präsentieren soll. Man darf nicht nur eine Meinung sagen, sondern alle Ansichten, was es gibt. Es geht nicht darum, dass man alle das lernen müssen, weil das so ist. Zum Beispiel wenn man über die Parteien von Österreich unterrichtet, kann man nicht sagen, dass eine Partei super ist und die anderen schlecht. Man muss auch die Positive und auch die Negative präsentieren. Man sollte alle Seiten in Auge fassen. Die Schwerpunkte können die Lehrern selbst auswählen, deshalb kann es nicht passieren, dass etwas wegen Politik betonter ist. Die Betonung hängt vom Lehrer ab. Es ist auch im Schulfach Deutsch absolut ähnlich.
Existieren die Vario-Stunden in dem ganzen Land genauso wie hier?
- Das ist eine Besonderheit von unserer Schule. Ich glaube, es gibt nur drei oder vier Schulen in dem Land, die dieses Vario-System noch haben. Es gibt nicht im ganzen Land.
Was ist der Zweck von diesem Stundentyp?
- Der Zweck von Vario ist einerseits, dass die Schüler:innen in speziellen Kurse, die sie wählen, ihre Schwächen verbessern können. Der zweite Punkt ist, meine ich, dass sie einfach solche Kurse auswählen können, für sie sich besonders interessieren. Der Stoffbereich wird immer da behandelt, für den man im Unterricht keinen Platz findet. Da kann man diesen extra vertiefen.
Wie ist der Lehrstoff eingeteilt? Ist es nur gesagt, was man unter einem Jahr unterrichten soll oder auch innerhalb eines Jahres ist es festgestellt?
- Es ist für ein Jahr eingeteilt.
Was für Vorteile hat eine Doppelstunde zu halten? (In Ungarn stehen immer noch die gewohnten 45 Minuten zur Verfügung.) Wie kann man sie gut ausnutzen, wie teilt man sie ein?
- Der Vorteil ist ganz klar, dass man nicht nach einer kurzen Zeit den Unterricht unterbrechen und dann wieder am nächsten mal anfangen muss. Ein großes Gebiet oder ein ganzes Themengebiet kann man in 80 Minuten ganz gut erklären. Es ist von Fach zum Fach und von Lehrer zum Lehrer unterschiedlich, wie man diese 80 Minuten einteilt.
Haben die längere Stunden auch Nachteile?
- Ein Nachteil ist, dass die Schüler längere Aufmerksamkeitsphase haben müssen. Man spürt den Unterschied zwischen 43 Minuten und 86 Minuten. Man sollte sich länger konzentrieren. Ich mache auch in der Doppelstunden eine 5 minütige kurze Pause, in der man ein bisschen aufstehen kann. Es wäre eine Möglichkeit.
Gibt es etwas, mit dem die österreichische Lehrergemeinschaft unzufrieden ist?
- Ich glaube nicht, dass man es so allgemein sagen kann. Mit den Klassiker – wie dem Gehalt – sind natürlich viele unzufrieden. Aber es ist bei anderen Arbeitsbereichen genauso. Es ist schwierig zu beantworten, womit die österreichische Lehrergemeinschaft generell unzufrieden ist.
Haben Sie schon mal Demonstrationen gehabt?
- Ich selbst noch nicht, aber es ist in den letzten Jahrzehnten sicher aufgetreten.
Haben die Lehrer:innen eine Gewerkschaft? (z.B. die Situation von Rumänien aber auch in Ungarn: da der Kraft der Schüler:innen)
- Ja. Jede Schule hat eine Lehrergewerkschaft. Wenn es ein Problem gibt, meldet ihr es immer an die höhere Stelle. Da zum Beispiel wegen Klimawandel auch die Schüler:innen gehen auf den Straßen zu demonstrieren, wäre es möglich, dass es im Fall des Schulsystems auch die gleiche wäre. Aber es ist nur eine Vermutung, es kann ich nicht genau beantworten.
Wie sieht die Meinung der österreichischen Bildungspolitik über die Balance zwischen lexikalischem Wissen und der Innovation von Kompetenzen aus?
- Das Ziel ist, glaube ich, dass die Kompetenzen in dem neuen Lehrplan eine ganz große Rolle spielen. Es muss eine Grundlage, eine Basis sein und dann die Kompetenzen sind die entscheidende.
Können beide nebeneinander unterrichtet sein?
- Ja. Es ist von Lehrer zu Lehrer unterschiedlich, wie. Einige Lehrer:innen sind auf der Seite von Kompetenzen, die anderen nicht so. Die Jüngere holen schon aus dem Studium mit, dass sie während dem Unterricht auf die Kompetenzen achten sollen. Ob es wirklich so passiert, ist schon eine andere Frage. Seit acht Jahren geht auch selbst die Zentralmatura um Kompetenzen. In dieser sind die Fragen nicht mehr so lexikalisch.
Sind auch Kompetenzen vorgeschrieben, die die Schüler:innen haben müssen? Oder alles, was man sehen kann (Debatten in der Stunden, einander helfen, aufeinander zu achten) kommt einfach aus der Wahrnehmung der Menschen?
- Ja. Es ist im Lehrplan festgehalten, was für Kompetenzen man weitergeben muss. Es sieht bei jedem Fach anders aus, welche Kompetenzen vorgeschrieben sind. Eine Kompetenz für das Fach Deutsch, dass die Schüler:innen verschiedene Textsorten selbständig bearbeiten können müssen. Wurscht, ob es eine Zusammenfassung, eine Argumentation, einen Aufsatz oder sonst was ist.
Ich sehe so, dass es hier mehr Zeit für andere Dinge gibt als den Lehrstoff. Bei uns sagen auch die gute Lehrer:innen, dass es keine Zeit für solche Fragen gibt, oder sie antworten sehr kurz.
- Erstens kommt es auch bei uns im Lehrplan vor, dass es notwendig zu diskutieren ist. Wenn die Schüler:innen eine Frage haben, finden wir es wichtig, sie zu beantworten, egal, ob es sinnvoll ist oder nicht. Aber ein Lehrer kann den Lehrplan nicht verändern.
Kann man sagen, dass Österreich – sowie Deutschland – für die heutigen Tage das sogenannte ,,preußische” Schulmodell schon verlassen hat? Und wie?
- Ich hoffe zumindest, dass wir zwischen den Lehrer:inen und Schüler:innen immer noch ein hierarchisches System haben, sie sind immer noch nicht gleichgestellt. Sonst stimmt es absolut, dass das heutige schon nicht das vorherige Schulmodell ist. Es verändert sich natürlich.
Wann ist das österreichische Bildungssystem reformiert geworden?
- Es war definitiv keine große Reform, sondern viele kleine Schritte schon seit langer Zeit. Veränderungen und Anpassungen hängen auch mit der Digitalisierung eng zusammen.
Könnte Österreich eine Brücke zwischen den zwei Seiten/Polen von Europa im Bereich der Bildung sein?
- Ich würde sagen, ja.
Wie könnten Sie umschreiben, was ist das Ziel mit der allgemeinen Bildung? Worauf bereitet sie vor innerhalb der Zeit bis man Maturant:in wird?
- Dass man gewisse Kompetenzen ermittelt, die man immer dann im restlichen Leben anwenden kann und soll.
Der vorgeschriebene Lehrstoff bereitet ganz direkt auf die Maturaprüfung vor?
- Ja, sollte sie. Es ist ganz gleich, was man unterrichten muss und was später geprüft wird. Zum Beispiel beim Deutsch es sind Textsorten gegeben und auf diese Textsorten sind in der Oberstufe in der Stunde vorbereitet.
Wie gut kann der Lehrstoff und die Maturaprüfung auf die Universitäten und auf ihre Aufnahmeprüfungen vorbereiten?
- Ja, es muss das Ziel sein. Grundsätzlich ja.
Wie muss man als Maturant:in am Ende der Schule sein?
- Das kann man schwer beantworten. Muss? Müssen? Ich glaube, nicht bestimmtes. Man könnte sagen, die gewisse Kompetenzen in allen Fächern.
Ihrer Meinung nach, was für eine Rolle hat die Schule in der österreichischen Gesellschaft?
- Eine sehr wichtige, große Rolle. Einerseits die Bildung… Ohne Schule, was würden die Kinder sonst machen?
Wie geht die Lehrerbildung? Wie viel Jahr muss man studieren, um Lehrer:in zu werden?
- Jetzt im neuen Dienst ist es so, dass man zuerst eine Bachelor Studium machen muss, das bedeutet sechs Semester. Und dann noch zwei Jahre, also vier Semester das Master.
Müssen sie schon während der Bildung an der Universität ein Praktikum machen? Also unterrichten sie schon auch während dem Studium?
- Ja, genau. Man ist schon in der Schule während des Studiums auch. Dazu gibt es keine speziellen Gymnasien. Es gibt eine Ausbildung, die man als Lehrer machen kann und damit kann man Student:innen aufnehmen und sie im Unterricht Stunde begleiten. Dazu braucht man keine speziellen Schulen, sondern einen speziellen Lehrerhalt.
Wie erreicht die Regierung bei den Jugendlichen, um Lehrer:in zu werden? Wie machen sie diese Arbeit attraktiver?
- Wenn ich eine ehrliche Meinung sagen muss, sie machen gar nicht. Es gibt keine Attraktivierung. Man motiviert Schüler und Studenten der Zeit nicht, Lehrer zu werden, aus meiner Sicht. Das Gehalt ist sowieso, die Ausbildung ist zu lang, man könnte das bisschen doch reduzieren. Als Klassenvorstand bekommt man kein Lohnplus. Man muss im Allgemeinen zusätzliche Stunden halten, die werden aber nicht bezahlt. Das ist aus meiner Sicht nicht sehr motivierend.
Was bedeutet es (gesellschaftlich), in Österreich Lehrer zu sein?
- In der Gesellschaft hat ein Lehrer einen schlechten Standpunkt in Österreich. Es ist nicht besonders hoch, unabhängig davon, obwohl man in der Volkschule oder im Gymnasium unterrichtet. Es macht wenige Unterschied.
Aber warum ist es so?
- Wegen solchen Dinge, wie man so denkt, dass wir von 8 bis 12 Uhr arbeiten und dann haben wir frei, wegen der Sommerferien, der vielen Feiertage. Ich kann doch sagen, dass es nicht richtig ist. Es gibt viel Korrektur, und so weiter. Als Klassenvorstand gibt es noch mehr, zum Beispiel mehr Administration. Alle diese Aufgaben sind doch laut dem neuen Dienstrecht nicht mehr bezahlt. Das bedeutet im Fall der Junglehrer, die vor zirka 5-6 begonnen haben zu unterrichten.
Verhalten auch die Eltern respektvoll mit den Lehrer:innen?
- Ja, das kann ich schon sagen. In Elterngesprächen gibt es immer – oder meistens, da es gibt immer Ausnahme – gute Kommunikation. Meistens ist es eine Zusammenarbeit. Bei mir ist es so, aber bei anderen kann ich es nicht sagen.
Wann können die Eltern mit den Lehrern sprechen?
- Es gibt eine Sprechstunde einmal in der Woche bei jeden Lehrer. Und auch zusätzlich wenn man eine Mutter sagt, sie kann nicht in der Sprechstunde, suchen wir mal eine andere Termin.
Kommen sie oft mit in die Schule?
- Zu mir schon. Auch per E-mail oder per Telefon. Sie kommen oft mit Schulproblemen, z.B. Notenstand, was kann man verändern, damit es besser wird.
Ich sehe, dass viele wiederholen ein Schuljahr ohne Erniedrigung, die Lehrer:innen und die Schüler:innen hassen einander nicht… Und das passiert nicht aus Gefühlen, sondern ganz rational. (Persönliche Bemerkung: die Wiederholung des Schuljahres habe ich in Österreich mehrmals wahrgenommen, als in meiner Schule in Ungarn.)
- Es geht ihnen gut, obwohl sie ein Jahr wiederholen müssen. Das ist nicht das schlechteste, was es gibt. Es hängt vom Typ ab, wie man damit gefühlsmäßig umgehen kann. Die Wiederholung des Schuljahres ist streng geregelt und war in meiner genauso oft wie jetzt. Es ist nicht etwas Neues. Von der Seite des Lehrers gibt es sicherlich keinen Hass oder so, es ist ganz rational.
Wenn es ein Problem mit dem Verhalten des Schülers! der Schülerin gibt… Wer spricht darüber? Die Lehrer:innen, die Eltern und der Schüler oder kann auch der Direktor alleine entscheiden?
- Erstens sprechen die Lehrern mit dem Schüler und wenn es nicht funktioniert, dann mit den Eltern. Im schlimmsten Fall auch mit dem Direktor. Wenn man eine Entscheidung treffen muss, ist es vorgeschrieben, sie gemeinsam zu machen, aber praktisch der Direktor entscheidet.
Diese Schule ist eine akzeptierende/adoptierende. Nicht nur Österreicher:innen nehmen an dem Unterricht teil. Braucht man dazu Sensibilisierung? Für die Lehrer:innen oder für die Schüler:innen? Bereitet man darauf plus die Lehrer:innen vor? Ist es irgendwie anders als in den anderen Schulen, wo die Umwelt ein bisschen homogener ist?
- Ja, sicher, man braucht die Sensibilisierung. Es wird im Studium unterrichtet, wie man damit umgeht, z. B. Fremde integrieren. Aber es ist nicht in dieser Schule spezifisch, sondern in Österreich allgemein.
In einer solchen sonderlichen Situation, dass zwischen zwei Ländern ein Krieg geführt ist und hier Kinder aus den beiden Ländern sind, achten Sie auf sie besonders oder es hängt vom Lebensalter und von der Gruppe oder von der Lehrer:in ab?
- Es ist von allem abhängig, das kann man schwierig beantworten und es ist im Zufall verschieden.
Wenn Sie nur ein Ding sagen könnten, womit Sie als Lehrer zufrieden ist, was wäre das?
- Dass ich selbst einteilen kann, was ich mache. Ich kann immer selber entscheiden, was ich in der Stunde mache, zum Beispiel ein Video anschauen oder ein Buch lesen. Für mich sind freie Hände die wichtigsten.
Und was ist, womit sie gar nicht zufrieden ist? (wieder nur ein Ding bitte auswählen)
- Mit den Klassengrössen. Bei euch nicht, da in deiner Klasse 18 Schüler:innen sind, aber nächstes Jahr bekomme ich eine Klasse mit 29 Personen. Eure parallele Klasse ist auch eine Klasse mit über 20 Schüler:innen. Ich habe eine 13-köpfige Klasse. Es ist natürlich einfacher mit einer kleineren Klasse. Es gibt keine Aufnahmeprüfung ins Gymnasium in Österreich, deshalb die kommen möchten, kommen können. Die, die Zeugnis haben, sind schon in die Klasse aufgenommen.
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